Kairos (griechische Mythologie): Gott vom günstigen Augenblick / richtiger Zeitpunkt
Kairos
Kairos (altgriechisch Καιρός Kairós = deutsch -> ‚das rechte Maß, die gute Gelegenheit‘) ist der Gott vom günstigen Augenblick (richtiger Zeitpunkt) in der griechischen Mythologie.

Der Begriff Kairos wird überdies allgemein betrachtet unter religiös-philosophischen Gesichtspunkten. Wann ist der richtige (günstige) Zeitpunkt, um eine Entscheidung zu treffen? Wenn dieser richtige bzw. günstige Augenblick ungenutzt verstreicht, könnte sich dies nachteilig auswirken.
Kairos und Chronos
Kairos steht im Gegensatz zum
Chronos >>, womit ein langer Zeitabschnitt gemeint ist. Ebenso ist der Tag (
Hemera >>) nicht identisch mit Kairos. Hermann Fränkel wird als deutsch-US-amerikanischer Altphilologe beschrieben. 1931 ging Hermann Fränkel auf diese Besonderheit der ältestgriechischen Zeitauffassung mit einem Aufsatz ein und problematisierte sie.
Kairos in der Bibel
Kairos wird in biblischen Texten unter dem Gesichtspunkt betrachtet, dass ein von Gott gegebener Zeitpunkt eine besondere Chance und Gelegenheit darstellt - und zwar in der Hinsicht, einen Auftrag zu erfüllen. Unter religiösen Aspekten wird Kairos auch als Entscheidung zwischen Glaube und Unglaube gesehen.
Die Philosophie sieht Kairos als den entscheidenden Augenblick selbst.
Mythologie
In der griechischen Mythologie taucht Kairos als aktiv handelnder Gott im Grunde nicht auf. Ion von
Chios >> wird als antiker griechischer Dichter überliefert. Es wird ein Werk mit dem Namen Triagmos genannt, wo Kairos als jüngster Sohn des
Zeus >> beschrieben wird.
Es heißt, dass Lysippos (griechisch Λύσιππος Lýsippos) ein griechischer Bildhauer und Erzgießer der Antike war. Überliefert wird eine bronzene Plastik des Kairos von Lysippos. Auf der Grundlage dieser Plastik wurde Kairos zum Gott im griechischen Götterhimmel.
In Olympia (Heiligtum des Zeus in Elis im Nordwesten der
Peloponnes >>) soll es einen Altar des Kairos gegeben haben. Dieser Altar des Kairos befand sich demnach in der Nähe vom Altar des
Hermes >>.
Poseidippos von
Pella >> war ein hellenistischer Epigrammatiker, so heißt es zumindest. Ein Epigramm ist ein kurzes, zugespitztes Sinngedicht. Erzählt wird von einem Dialog aus der Sicht des Betrachters (Poseidippos, Sinngedicht über Kairos):
"Wer bist du?
Ich bin Kairos, der alles bezwingt!
Warum läufst du auf Zehenspitzen?
Ich, der Kairos, laufe unablässig.
Warum hast du Flügel am Fuß?
Ich fliege wie der Wind.
Warum trägst du in deiner Hand ein spitzes Messer?
Um die Menschen daran zu erinnern, dass ich spitzer bin als ein Messer.
Warum fällt dir eine Haarlocke in die Stirn?
Damit mich ergreifen kann, wer mir begegnet.
Warum bist du am Hinterkopf kahl?
Wenn ich mit fliegendem Fuß erst einmal vorbeigeglitten bin,
wird mich auch keiner von hinten erwischen -
so sehr er sich auch bemüht.
Und wozu schuf Euch der Künstler?
Euch Wanderern zur Belehrung."
Die Redewendung "die Gelegenheit am Schopfe packen," bezieht sich auf Kairos (wenn Kairos vorbeigezogen ist, kann er nicht mehr gepackt werden, weil er einen kahlen Hinterkopf hat). Die Redensart "auf Messers Schneide," bezieht sich auf Darstellungen des Kairos. Diese Darstellungen zeigen Kairos mit einer Waage, die auf einer Rasierklinge balanciert.
Psychologie
In der Psychologie gibt es den Fachbegriff Kairophobie. Damit ist die konkrete Angst davor gemeint, Entscheidungen zu treffen. Der medizinische Begriff Kairophobie leitet sich von Kairos ab. Das Wort Phobie leitet sich vom griechischen
Phobos >> ab.
Wissenschaft
Der Begriff Kairologie leitet sich ebenfalls von Kairos ab. Kairologie ist eine Wissenschaft, die sich mit der Frage vom richtigen Augenblick / Zeitpunkt beschäftigt.
Quelle
Pausanias, Reisen in Griechenland >> 14,9
Literatur
Michael Theunissen: Pindar. Menschenlos und Wende der Zeit. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-46169-9
Bruno Sauer: Kairos. In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 2,1, Leipzig 1894, Sp. 897–901
Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie >> (Wilhelm Heinrich Roscher)
Paolo Moreno: Kairos. In: Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (LIMC). Band V, Zürich/München 1990, S. 920–926
Karl Hofmann: Kairos. Navigator der menschlichen Zeit. Hernoul-le-Fin, Augsburg 2010, ISBN 978-3-933309-99-0
James L. Kinneavy, C. R. Eskin: Kairos. In: Gert Ueding (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Band 4, Darmstadt 1998, Sp. 836–844
Johannes Gründel: Kairos. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Band 5: Hermeneutik bis Kirchengemeinschaft. Herder, Freiburg im Breisgau 1996, ISBN 3-451-22005-9, Sp. 1129–1131
Hans Lamer: Kairos. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band X,2, Stuttgart 1919, Sp. 1508–1521
Hans-Georg Gadamer: Kairos. Ein Diskurs über die Gunst des Augenblicks und das weise Maß. Radiointerview von Bernd H. Stappert, SWR 1989, Auditorium ‚Netzwerk‘, Original-Vorträge, Jokers Hörsaal, auf der CD: Hans-Georg Gadamer: Von der Lust am Dialog. (2008)
Hermann Fränkel: Die Zeitauffassung in der archaischen griechischen Literatur. Beilagenheft zur Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. 25, Hamburg, 1931, S. 97–118
Klaus P. Fischer: Heute, wenn ihr Seine Stimme hört. Beiträge zu einer Theologie des Kairós. Passagen, Wien 1998, ISBN 3-85165-299-1
Alf Christophersen: Kairos. Protestantische Zeitdeutungskämpfe in der Weimarer Republik (= Beiträge zur historischen Theologie. Band 143). Mohr Siebeck, Tübingen 2008, ISBN 978-3-16-149567-0, zugleich Habilitationsschrift Universität München 2002
Alexander Neupert-Doppler: Die Gelegenheit ergreifen. Eine politische Philosophie des Kairós. Mandelbaum Verlag, Wien 2020, ISBN 978-3-85476-696-4
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